Ana Mendieta (1948–1985) gehört zu den herausragenden künstlerischen Positionen der 1970er und 1980er Jahre. Die Ausstellung „Covered in Time and History: Die Filme von Ana Mendieta“ macht ihr Filmwerk erstmals in großem Umfang zugänglich. Der Gropius Bau zeigt vom 20. April bis 22. Juli 2018 eine Auswahl von 23 Filmen aus dem vielschichtigen Werk der Künstlerin, welches kürzlich in einer mehrjährigen Forschungsarbeit aufgearbeitet und digitalisiert wurde.

Ausstellungsansicht „Covered in Time and History: Die Filme von Ana Mendieta“ © The Estate of Ana Mendieta Collection, LLC., Courtesy Galerie Lelong & Co., Foto: Mathias Völzke

Clare Molloy: Covered in Time and History: Die Filme von Ana Mendieta ist die erste Ausstellung Ihres neuen Programms am Gropius Bau. Warum haben Sie gerade diese Ausstellung für Ihren Start ausgewählt?

Stephanie Rosenthal: Es war mir sehr wichtig mein Programm mit Ana Mendieta zu beginnen. Sie ist aus meiner Sicht gerade für unsere heutige Zeit, eine sehr relevante Künstlerin. Ana Mendieta hat ephemere Arbeiten geschaffen und teilweise in unterschiedlichen Medien wie Film festgehalten. Für mich ist dabei ganz zentral, dass man durch ephemere und performative Arbeiten auch radikale künstlerische Ansätze einführen kann. Thematisch hat sich Ana Mendieta in ihrem gesamten Schaffen mit der Rückverbindung des Körpers mit der Natur und dem Land und einer damit einhergehenden inneren Zerrissenheit auseinandergesetzt. Das sind Themen, die im Gropius Bau in den nächsten Jahren in unterschiedlichen Ausstellungen präsent sein werden. Schließlich ist es aber so, dass Ana Mendieta eine Künstlerin ist, die in Deutschland noch gar nicht ausreichend gezeigt worden ist.

Sie haben mit Traces bereits eine Ausstellung zu Ana Mendieta kuratiert, die 2013 in der Hayward Gallery, London und 2014 im Museum der Moderne in Salzburg gezeigt wurde. Was ist in der Ausstellung Covered in Time and History anders?

Die Ausstellung Covered in Time and History zeigt das filmische Werk von Ana Mendieta. Sie hat überwiegend mit Super 8 gearbeitet, für sie das perfekte Medium, um die privaten Rituale ihrer Kunst aufzunehmen. Videokameras hingegen waren damals noch sehr schwer und brauchten meist einen zweiten Operator, um die Kassetten zu wechseln. Mit Super 8 konnte Ana Mendieta unabhängiger arbeiten. Sie verwendete unter anderem eine Bolex Kamera. Die lichtundurchlässigen Super 8-Filmkassetten und Tageslichtfilter der Kamera waren ideal, um draußen zu filmen. Wenn notwendig waren manchmal andere Personen hinter der Kamera, wie etwa Jane Noble bei Corazón de Roca con Sangre (1975) oder Raquelín Mendieta bei Moffitt Building Piece (1973), da beispielsweise bei letzterer Arbeit Ana Mendieta die Aktionen fotografisch festgehalten hat. Mit der Zeit werden Super 8-Filme allerdings immer empfindlicher und es ist aufwendig sie zu archivieren. Die Ausstellung Covered in Time and History ist ganz außerordentlich, weil ihre Filme erst jetzt digitalisiert worden und wir ihre Filme das erste Mal in dieser Art und Weise und auch in dieser Qualität sehen können. Der Gropius Bau zeigt eine Auswahl von 23 Filmen aus ihrem Werk, das über 100 Filme umfasst. Es handelt sich also um eine sehr spezifische Auswahl, die uns erlaubt in die unterschiedlichen Themenbereiche ihres Filmwerks einzutauchen. Die Ausstellung Traces hingegen fokussierte die Arbeitsweise von Ana Mendieta und hat in diesem Zusammenhang Ausschnitte ihres gesamten Werks gezeigt, angefangen bei ihren Fotografien, über Filme, zu Zeichnungen und Skulpturen bis hin zu Rekonstruktionen ihrer zentralen Ausstellungen.

Ausstellungsansicht „Covered in Time and History: Die Filme von Ana Mendieta“ © The Estate of Ana Mendieta Collection, LLC., Courtesy Galerie Lelong & Co., Foto: Mathias Völzke

Zum Zeitpunkt von Traces war das filmische Werk von Ana Mendieta noch nicht umfassend erschlossen und es lag keine so ausführliche Filmographie der Künstlerin vor. All das wurde erst durch die Forschung der letzten Jahre ermöglicht. Nun da Sie zwei sehr unterschiedliche Ausstellungen zu Ana Mendieta begleitet haben, was interessiert Sie an Ana Mendieta und ihrer künstlerischen Praxis ganz besonders?

Es gibt zwei Aspekte, die mich bei Ana Mendieta ganz besonders interessieren. Zum einen bin ich der Meinung, dass sie einen ganz eigenen Zugang und ein ganz spezielles Verhältnis zur Natur hat. Es ist kein romantisierter, sondern ein kraftvoller passionierter Ansatz, in dem man auch ihre künstlerische Dringlichkeit spürt. Ana Mendieta ist eine Künstlerin, die eine unglaubliche Präsenz hat und diese wird in ihren Filmen auf eine ganz direkte Weise vermittelt. Zum anderen interessiert mich ganz besonders, wie Ana Mendieta mit Performance umgeht. Bei ihren „Earth Body“ Arbeiten handelt es sich um private Performances, die sie mittels unterschiedlicher Medien bildlich festgehalten hat. Für mich ist das eine Fragestellung, die auch momentan unglaublich aktuell ist. Wie zeigt man Werke, wenn man bewusst mit der Flüchtigkeit arbeitet? Ana Mendieta hat sehr früh die Entscheidung getroffen, ihre Performances nicht für ein Publikum zu machen, sondern durch die Dokumentation erfahrbar zu machen. Es ist erstaunlich wie sie es schafft, eine zeitlich relativ lange Performance in kurzen eindrücklichen und sehr berührenden Filmen umzusetzen.

Einige wenige Performances von Ana Mendieta fanden vor Publikum statt, beispielsweise als sie am Intermedia Programm an der Universität von Iowa teilnahm oder die Performance La Noche, Yemaya in Franklin Furnace, New York aus dem Jahr 1978. Überwiegend war es jedoch die Kamera, die als stiller Zeuge ihre Performance begleitete. Die Künstlerin verwendete den Begriff „Filmworks“ für ihre Arbeiten mit Bewegtbild. Ihre Filmworks hat sie zwischen 1971 und 1981 geschaffen und sie weisen eine ganz eigentümliche Aktualität auf. Warum ist das Werk von Ana Mendieta nach wie vor so relevant? Wie gelingt ihr das?

Es ist wirklich faszinierend wie zeitlos Ana Mendietas Arbeiten sind. Das liegt sicherlich daran, dass sie sich entschieden hat die meisten ihrer Aktionen in der Natur zu machen. Wir haben also meistens keinen Kontext wie Kleidung, durch den man einordnen kann, in welchem Jahrzehnt, die Werke entstanden sind. Die Natur ist zeitlos. Damit wird auch deutlich, dass die von Ana Mendieta behandelten Themen wie die Frage nach Zugehörigkeit, Heimatlosigkeit, aber auch die Rückverbindung zur Natur, uns zu jeder Zeit ansprechen. Natürlich sind ihre Themen wie Migration und Zugehörigkeit auch relevant für unsere Wirklichkeit und Weltlage. Hinzu kommt, dass wir im digitalen Zeitalter leben. Ana Mendieta rückt mit ihren Arbeiten den Körper ins Zentrum, nicht etwa im voyeuristischen Sinne, sondern in einem sehr natürlichen Verständnis von Körperlichkeit.

Ausstellungsansicht „Covered in Time and History: Die Filme von Ana Mendieta“ © The Estate of Ana Mendieta Collection, LLC. ,Courtesy Galerie Lelong & Co., Foto: Mathias Völzke

Der Körper spielt in Ana Mendietas Werk eine ganz besondere Rolle. Sie schafft mit „Earth Body“ nicht nur eine eigene Terminologie, sondern auch eine ganz eigene Ästhetik für ihr Werk. Was meinte sie genau mit „Earth Body“?

„Earth Body“ rührt eigentlich von ihrem Interesse, sich von den existierenden Kunstformen abzugrenzen. Sie hat versucht, sich von den Kategorien, die damals innerhalb der Kunst existierten wie Land Art oder Performance Art zu unterscheiden. Ich glaube, sie hat sich immer in einem Dazwischen empfunden. Sie hat sich nicht zugehörig gefühlt und hat auf diese Art und Weise eine eigene Terminologie gefunden, um ihre Arbeiten zu erklären.

Ganz prägend für Ana Mendieta ist auch der Begriff „Silueta“.Sie arbeitet oft mit Silhouetten der weiblichen Gestalt, die zunehmend abstrakt wurden. Diese Formen wurden von ihr am Boden mit Erde erzeugt. Am Strand verschwinden diese Siluetas dann allmählich durch die Bewegung des Wassers oder bei Silueta de Cohetes (Fireworks Piece) wird der Nachthimmel mit Feuerwerkskörpern im Form einer mit Armen nach oben zeigenden Silueta erleuchtet. Silueta de Cohetes (Fireworks Piece) entstand 1976 in Mexiko, inspiriert von den Fiesta-Traditionen und den Feierlichkeiten zur Karwoche. Wie so oft dokumentiert Ana Mendieta diese Arbeit mit mehr als einem Medium, auf 35-mm-Dias und Super 8-Film. Die Bezugspunkte ihre Arbeiten reichen von der Ikonographie des Katholizismus bis hin zur Afro-Kubanischen Santería oder Göttinendarstellungen der Táino.

Ana Mendieta hat an vielen Orten Arbeiten geschaffen, in Iowa, Mexiko, Italien, auf Kuba. Welche geografischen Eckdaten waren prägend für sie und welche Rolle spielt die Natur in ihren Arbeiten?

Ganz entscheidend für ihr künstlerisches Werk ist, dass sie in Kuba geboren und im Jahr 1961 im Alter von 12 Jahren von Kuba nach Amerika geschickt wurde, erst nach Miami und schließlich nach Iowa, und erst viel später in den 1980er Jahren nach Kuba zurückgekehrt ist. Die Trennung von ihrer Heimat hat sicherlich einen starken Einfluss auf ihre Arbeiten gehabt, aber sie hätte, so denke ich zumindest, in einem ganz übertragenen Sinne überall arbeiten können. Grundsätzlich ging es ihr darum mit der Natur oder mit der Landschaft umzugehen. Es ging nicht zwingend um die Rückverbindung mit dem eigenen Land, sondern ganz allgemein um die Tatsache, dass die Natur allumfassend ist und überall präsent. Wo immer Ana Mendieta war, hat sie gearbeitet, ob in den Vereinigten Staaten, Mexiko oder Italien. Der Boden auf dem sie stand, war immer ein idealer Ausgangspunkt für ihre Arbeiten.

Ausstellungsansicht „Covered in Time and History: Die Filme von Ana Mendieta“ © The Estate of Ana Mendieta Collection, LLC. ,Courtesy Galerie Lelong & Co., Foto: Mathias Völzke

Eine interessante Frage bei Künstler*innen wie Ana Mendieta ist natürlich welche Techniken sie benutzt haben.

Absolut, Ana Mendieta hat mit Super 8- Filme ohne Ton erzeugt. Bei den Arbeiten, die jetzt im Gropius Bau zu sehen sind, hat sich Ana Mendieta zudem dafür entschieden, meist nur eine Filmkassette zu verwenden. Die Filme sind daher nur etwa drei Minuten lang. So ergibt sich auch die zeitliche Ebene der Ausstellung. Wenn man sich jeden Film in Ruhe anschaut, verbringt man etwa 90 Minuten in der Ausstellung. Im Werk von Mendieta gibt es auch Filme, die länger oder auch deutlich kurzer sind. Sie hat auch nicht nur mit Super 8 gearbeitet. Die letzte Arbeit ihres Oeuvre Ochún (1981) wurde beispielsweise mit 19mm Umatic Videokassette aufgenommen und hat im Gegensatz zu den anderen Arbeiten in der Ausstellung auch eine Ton-Ebene. Die Arbeit Energy Charge (1975) im fünften Raum der Ausstellung ist ein 16mm Film, es wurde zudem aber ein Video-Prozessor eingesetzt, um eine andere Ästhetik zu erzielen.

Was erwartet die Besucher*innen in der Ausstellung? Wie ist die Ausstellung Covered in Time and History konzipiert und nach welchen Gesichtspunkten wurden die Filme ausgewählt?

Die Ausstellung ist nicht streng chronologisch angelegt, sondern viel mehr thematisch gedacht. Ana Mendieta ist immer wieder an Orte zurückgekehrt – sie hat zum Beispiel in den 1970 Jahren fast jeden Sommer in Mexiko verbracht – und hat sich mit ähnlichen Themenkomplexen oder Elementen wie Wasser, Feuer, Erde, Blut auseinandergesetzt. Im ersten Raum der Ausstellung sieht man zum Beispiel wie Ana Mendieta mit dem Vulkan und Rauch in Verbindung zur Erde gearbeitet hat. Diese Anordnung der Werke führt auch dazu, dass die Ausstellung eine poetische Intensität hat, weil man sich in den einzelnen Räumen wie von dem jeweiligen Element umgeben fühlt.

Die Besucher*innen erwartet also eine künstlerische Position, die ganz entscheidend ist für die 1970 und 80er Jahre, aber auch noch heute relevant ist. Ana Mendieta ist eine Künstlerin, die sich dem Denken in Schubladen verweigert und eigene Kategorien für sich geschaffen hat. Sie zeigt uns heute noch immer ein Filmwerk, das auf ganz entscheidende und bahnbrechende Art und Weise mit dem Performativen umgeht.

 

Stephanie Rosenthal ist Direktion des Gropius Bau.

Clare Molloy ist kuratorische Volontärin.