Das Projekt JungeReporter wendet sich an junge Leute ab 15 Jahren, die Lust am Schreiben haben. Sie müssen nicht unbedingt selbst ein Instrument spielen, malen oder gern auf der Bühne stehen, sondern es kommt auf die Neugier für alle Kunstformen an.
Das Bild, das sich mir beim Betreten des Konzertsaals der Philharmonie bietet, ist sehr eindrucksvoll. Mehr als die Hälfte der Bühne ist von Schlagwerk besetzt und zusätzlich stehen noch in vier Ecken des Saales große Tamtams. Daniel Harding, der Dirigent, ist gerade dabei, mit den Tamtamspielern zu üben. Diese sind dringend darum bemüht, Hardings Forderung nach einem „schnelleren Dämpfen“ nachzukommen. Kurze Zeit später fängt auch schon die eigentliche Generalprobe mit allen Schlagzeugern an. Jetzt wird es noch beeindruckender: die Schlagzeuger beginnen mit aller Kraft zu spielen und erzeugen damit eine unglaublich spannungsreiche Atmosphäre. In der Mitte von Block A, also direkt unter mir, sitzt Wolfgang Rihm, der Komponist. In der Hand hält er „den Ziegel“, wie Winrich Hopp, der künstlerische Leiter des Musikfestes, die Partitur von „Tutuguri“ nennt. Er verfolgt still, aber hochkonzentriert das Geschehen. Harding beschwert sich zwischendurch darüber, dass der Klick-Track zu schnell sei, das müsse man ändern. Er schlägt vor „den Chor einfach mal eben neu aufzunehmen“. Alle lachen über die Idee – der konsonantisch geprägte Text von Artaud ist extrem schwer zu singen. Die Tonbandaufnahme ist essentieller Bestandteil des Werks.
Während der Probe fallen mir besonders die gigantischen Holzhämmer auf, mit denen zwei der Schlagzeuger auf Kisten hauen. Sie müssen Dutzende Kilogramm wiegen! Sind das echte Instrumente oder nur Schuhschränke? Danach muss ich mich auf jeden Fall in der nächsten Pause erkundigen. Außerdem wollte ich mal mit einem der Tamtamspieler reden, um zu erfahren, wie es sich anfühlt, da oben zu spielen.
Als erstes kann ich Jens Hilse, vom Deutschen Symphonie-Orchester Berlin für diesen Part ausgeliehen, für ein paar Minuten gewinnen. Mit meiner ersten Frage erkundige ich mich natürlich nach dem Gefühl beim Spielen. Hilse antwortet: „Das ist jedesmal wieder total beeindruckend und nimmt einen total mit. Einfach die Lautstärke ist ja schon unglaublich beeindruckend. Die ganzen Instrumente, das Zusammenspiel mit Schlagzeugern und dann diese Schläge zu zehnt, wenn die richtig zusammenkommen, dann berührt einen das richtig so im Bauch.“
Die Raumaufteilung in der Philharmonie ist ja ziemlich praktisch, gerade wenn man durch die Tamtams in den vier Ecken einen richtigen Allround-Klang kriegt. Macht der Raum spielerisch einen großen Unterschied?
Jens Hilse (JH): Das macht schon einen sehr großen Unterschied. Die Philharmonie ist ein Raum, der akustisch sowohl superleise Dynamikstufen ertragen kann als auch unglaublich laute. Also der Raum ist genial für das Stück, weil es gerade so in die Extreme geht. Es fängt sehr leise an und wird dann sehr laut. Und das funktioniert hier eben, das funktioniert nicht in jedem Raum.
Es spielen ja alle Tamtamspieler etwas Anderes. Was können Sie uns zu Ihrem Part erzählen?
JH: Wir haben einige Schläge gemeinsam, und andere Schläge spielt jeder woanders. Bei mir geht es eher darum, den Moment zu erwischen; wo muss ich eigentlich spielen? Das heißt, ich muss mich genau an der Partitur orientieren und muss auf dem Monitor den Dirigenten beobachten. Und ich muss vorausahnen, denn dadurch, dass ich so weit weg bin, muss ich einen Tick voraus spielen, damit der Klang rechtzeitig ankommt, als Mischung. Aber das ist kein Problem, wenn man den Raum kennt. Und ich kenne die Philharmonie natürlich sehr gut. Dann hat man ein bisschen ein Gefühl für die Weite und für die Zeit, die der Ton braucht.
Und wie ist es so, mit so vielen Schlagzeugern zu spielen? Sonst sind es ja meist nur ein oder zwei.
JH: Ja, wobei wir Schlagzeuger natürlich schon gewohnt sind, auch in Ensembles zu spielen. Wir machen im Studium schon viel mit Percussion-Ensemble, zu viert, zu zweit, zu sechst, zu zehnt. Das ist nicht so untypisch, dass wir mal im Ensemble zusammenspielen. Man ist schon gewohnt, aufeinander zu hören und auch die Bewegungen zu koordinieren. Also man sieht die Ausholbewegungen von den anderen Schlagzeugern und weiß genau, wann der Schlag trifft. Aber es ist natürlich ein großer Unterschied zum Orchesterspielen, das ist ganz was Anderes. Man spielt sehr direkt. Wenn man den Dirigenten beobachtet, sieht man, dass die Schlagzeuger immer direkt auf den Punkt spielen. Das ist mit Streichern, Bläsern oder Sängern gar nicht möglich, auf die muss man immer warten. Das ist eigentlich der Hauptunterschied.
Danach erwische ich Markus Steckeler vom Symphonieorchester des Bayrischen Rundfunks. Er erzählt mir, wie toll er es findet, dass er „Tutuguri“ noch einmal spielen kann. Denn als er es vor vier Jahren zuletzt gespielt hat, dachte er, das sei das letzte Mal. Er beschreibt das Stück mit energiegeladenen Wörtern wie „archaische Klänge“, „ritueller Tanz“ oder gar „Naturgewalten“. Er erzählt mir, wie ihn „Tutuguri“ „körperlich ergreift und mitnimmt“. Anschließend frage ich ihn nach dem Monsterhammer, und er kann mir ganz genau erklären, was es damit auf sich hat. Das sei eine Resonanzkiste und wohl ein Zitat aus Mahlers Sechster Symphonie: drei Hammerschläge, die die Schicksalsschläge repräsentieren. Es soll die körperliche Gewalt sichtbar machen. Steckeler erklärt: „Man könnte auch direkt auf die Bühne schlagen, aber dann geht wohl die Mechanik kaputt oder das Brett.“ Ich erkundige mich nach der körperlichen und geistigen Anstrengung beim Spielen. Er schildert mir, wie er sonst „einen gemütlichen Job hat, die Musik genießen kann oder nur ein bisschen zählen muss“, doch bei diesem Stück seien die Schlagzeuger von Anfang bis Ende gefordert. Lächelnd erzählt er mir, wie er beim Spielen die Zeit nicht mehr spüre, es keinen Anfang und kein Ende mehr gäbe. „Musik ist ein zeitloses Medium“, mit diesem Satz beschreibt er den Zauber von „Tutuguri“. Und sagt zu Recht, dass man nach einer solchen Aufgabe stolz auf das sein kann, was man geschafft hat.
Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks eröffnete mit der Aufführung von Wolfgang Rihms „Tutuguri“ am 3. September 2016 um 19:00 das Musikfest Berlin 2016.