Frank Witzels Roman „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ wurde mit dem Deutschen Buchpreis 2015 ausgezeichnet. Im Rahmen von „Ein Tag mit … Frank Witzel“ stellen wir das monumentale Werk vor, werfen aber auch manchen Blick in das kollektive Unterbewusste der bundesrepublikanischen Geschichte.
In einem weiteren Beitrag stellen wir das Bild der RAF im Spielfilm vor. In einem Beitrag zu Terrorismus und Popkultur besprechen wir u.a. die Filme „Baader“ und „The Raspberry Reich“.
Durch die sehr konträr verlaufenden Biografien zweier Menschen, deren Lebenswege sich am 30. November 1989 schicksalhaft verschränkten, sucht Andres Veiel in „Black Box BRD“ die Geschichte des linken deutschen Terrorismus zu verstehen. Alfred Herrhausen, Vorstandssprecher der Deutschen Bank, von der RAF durch eine Autobombe ermordet. Und Wolfgang „Gaks“ Grams, neben seiner Partnerin Birgit Hogefeld eines der wenigen namentlich bekannten Mitglieder der Dritten Generation der RAF, am 27. Juni 1993 von einem GSG-9-Kommando am Bahnhof von Bad Kleinen erschossen. In Gesprächen mit Hinterbliebenen und Weggefährten zeichnet Veiel die umfassende Skizze einer Gesellschaft, in der sich soziale und politische Differenzen so stark zugespitzt haben, bis jede Kommunikation und Vermittlung unmöglich erschien. Sein Dokumentarfilm ist nur ein Produkt einer umfassenden Recherche, deren Ergebnisse er auch in einer umfassenden Buchpublikation präsentierte.
Holger Meins war Kunstmaler, Filmemacher, überzeugter Pazifist – und als Mitglied der Ersten Generation der RAF an den Bombenanschlägen der sogenannten „Mai-Offensive“ des Jahres 1972 wesentlich beteiligt. Wie wird aus einem sensiblen, künstlerisch begabten jungen Mann ein Terrorist, der sich aus politischer Überzeugung an der Tötung von Menschen beteiligt? Dieser Frage geht Gerd Conradt, der in den 1960er-Jahren mit Meins an der neu gegründeten Deutschen Film- und Fernsehakademie (dffb) in Berlin studierte und gemeinsam mit ihm den Kurzfilm „Die rote Fahne“ inszenierte, in seinem Dokumentarfilm „Starbuck Holger Meins“ nach. Dieser hat durchaus Artefakte und Gesprächspartner*innen zu bieten, die überraschende, intime Einblicke in Meins‘ komplexes Seelenleben bieten – ein Dasein, das von den Paradoxien seiner Zeit zerrissen scheint und letztlich in der märtyrerhaften Selbstaufgabe durch den Tod nach Hungerstreik mündet. Formal stehen dem leider nicht wenige fragwürdige, sentimentalisierende Regieentscheidungen gegenüber, sodass man dem faszinierenden Menschen Holger Meins letztlich einen besseren Film gewünscht hätte.
Im Oktober 1972 wurde das Schwarzweißfoto aufgenommen, das den Ausgangspunkt der Recherchen von Birgit Schulz‘ Dokumentarfilm „Die Anwälte – Eine deutsche Geschichte“ bildet. Drei Anwälte, einer sitzt auf der Anklagebank, zwei als seine Verteidiger davor. Ihre Lebenswege werden fortan sehr verschieden sein: Otto Schily wird als Innenminister zum Rechtsaußen innerhalb der SPD werden, Hans-Christian Ströbele mit ewigem Friedrichshain-Kreuzberger Direktmandat zum mitunter gefühlt letzten grünen Parteilinken. Horst Mahler hingegen, der damals als RAF-Terrorist auf der Anklagebank saß, ist inzwischen Holocaustleugner und bekennender Nationalsozialist. Am Ende werden sich Schily und Mahler wieder in einem Gerichtssaal gegenüberstehen, diesmal auf verschiedenen Seiten: Mahler vertritt die NPD bei dem von der rot-grünen Regierung 2001 eröffneten und schließlich gescheiterten Verbotsverfahren.
Eine Zeitreise. Schwarzweiß-Bilder aus dem bundesdeutschen Fernsehen, eine junge, dunkelhaarige Frau mit Zigarette behauptet sich entschlossen im Kreise älterer Herren mit Panzerbrillen. Ulrike Meinhof als Diskussionsteilnehmerin ist ein charismatisches Erlebnis. In „Une jeunesse allemande“ montiert der 1974 geborene französische Regisseur Jean-Gabriel Périot Archivmaterial zu einem abendfüllenden Dokumentarfilm. Der Clou: Viele der Akteure stammen aus dem Umfeld der Hochschule für Film und Fernsehen (dffb) in Berlin: Holger Meins hat dort studiert, Gudrun Ensslin in einem Film mitgespielt, Ulrike Meinhof hat „Bambule“ gedreht. So beginnt der Film mit Material, das von den Akteuren selbst produziert wurde, bis er zu hasserfüllten Berichten über die ab 1972 in Stuttgart-Stammheim Inhaftierten wechselt – eine atemberaubende Umkehr des Blicks. Am Ende steht ein verstörter und verstörender Fassbinder in seiner Episode von „Deutschland im Herbst“ – und die Erkenntnis, dass Film in diesen bewegten Zeiten alles war, Dokument, Kampfplatz, Waffe und Kunst. Ein Fest der Montage.
„Ein Tag mit … Frank Witzel“ findet am 24. Januar 2016 ab 16:00 Uhr im Haus der Berliner Festspiele statt.