Das Projekt JungeReporter wendet sich an junge Leute ab 15 Jahren, die Lust am Schreiben haben. Sie müssen nicht unbedingt selbst ein Instrument spielen, malen oder gern auf der Bühne stehen, sondern es kommt auf die Neugier für alle Kunstformen an. Für das Berliner Festspiele Blog besuchen sie Proben und Konzerte des Jazzfest Berlin 2015.

Cymin Samawatie & Diwan der Kontinente © Camille Blake

Wie sind Sie dazu gekommen, dieses ungewöhnliche „transkulturelle Kompositionsprojekt“ ins Leben zu rufen?

Ich war mal selbst in einem Projekt involviert, mit Musikern der Berliner Philharmoniker und Musikern, die nichteuropäische Instrumente gespielt haben. Da war zum Beispiel der Sheng-Spieler Wu Wie dabei, die Koto-Spielerin Naoko Kikushi, die beide beim Diwan dabei sind. Auch ein Kanun-Spieler war dabei. Diese für mich neuen Instrumente haben mich fasziniert. Allerdings habe ich mir die Frage gestellt: Wie wäre es, wenn man diese Instrumente aus ihrer gewohnten Umgebung herausnimmt? Gewohnte Umgebung heißt, dass diese Instrumente meistens in einem traditionellen Kontext verwendet werden und selten aus dieser traditionellen Musikumgebung herausgenommen werden. Mich hat es total fasziniert zu sagen: Wie wäre es, wenn jetzt nicht der Klassiker nur die Klassik spielt oder nur den Duduk-Spieler begleitet, sondern wenn sich das traditionelle Instrument so sehr verändert, dass es einen Weg findet, noch mehr mit anderen zu harmonieren und anfängt, mit dem europäischen Klang oder einer gewissen europäischen Ästhetik zu verschmelzen. Und dann kommt bei unserem Projekt noch der Jazz dazu. Ich lebe in allen drei Musikrichtungen. Ich habe Klassik studiert und habe als Schlagzeugerin selbst im Orchester gespielt. Daher kenne ich das Gefühl, nach Noten zu spielen und dem Dirigenten alles recht zu machen. Ich habe vier Jahre Jazzgesang studiert und kenne somit auch das Gefühl, dass ich zwar Noten habe, aber aus den Noten machen zu dürfen, was ich will. Und in den Improvisationen genieße ich eine ganz andere Freiheit.
Ich bin zweisprachig aufgewachsen. Dadurch, dass ich auf Persisch singe, kommt durch den Klang der Sprache eine traditionelle Note mit hinein. Mich hat fasziniert, diese drei Welten zu verschmelzen ohne sie zu trennen. Eine Einheit zu schaffen und diese drei Sachen wirklich zu vermischen. Das mache ich in meiner Band ja sowieso. Mit dem Diwan wollte ich das noch einmal auf ein anderes Level bringen und andere Musiker, andere Instrumente, andere Klangfarben, von Electronics bis hin zu ganz klaren, puristischen, akustischen Klängen mit hineinbringen. Ich war neugierig darauf, einen Weg für mich und die Musiker zu finden, bei dem keiner das Gefühl hat, er muss etwas nur so bedienen oder er macht das, was er immer macht. Jeder bringt das mit hinein, was ihn ausmacht. Plus, er traut sich in Bereiche zu gehen, in denen er eigentlich nicht wirklich zu Hause ist. Wir regen Offenheit und Neugier an: Okay, ich trau mich jetzt mal ein bisschen, aus meiner Komfortzone raus zu kommen.

Die Stücke wurden jetzt extra für das Diwan Orchester komponiert. Wer hat Sie komponiert, wer hat Ahnung von so unterschiedlichen Instrumenten?

Ketan Bhatti, der Schlagzeuger, und ich schreiben für dieses Orchester. Wir haben auch mal Gastkomponisten eingeladen, aber danach haben wir mit den Musikern entschieden, dass es erst einmal eine schöne Ergänzung zwischen uns beiden ist. Wir haben gewisse Ähnlichkeiten im Kompositionsstil, aber wir sind dann auch manchmal so unterschiedlich, dass man klar seine Handschrift und meine Handschrift unterscheiden kann. Uns ist es auch sehr wichtig, die Musiker gedanklich zu involvieren. Was sind deren Wünsche? Wollen sie mehr oder weniger Komponisten haben? Wollen sie mitkomponieren? Wir versuchen das quasi alles aufzugreifen und mit hineinzunehmen. Ich freu mich, dass die Musiker gerne das Material von Ketan und mir spielen.

Warum der Name „Diwan der Kontinente“?

Das hat mehrere Gründe. Ein Grund ist, dass ich Biographie von Daniel Barenboim gelesen habe. Er hat ja den west-östlichen Diwan ins Leben gerufen, ein Orchester, dass aus Musikern besteht, die ganz viele verschiedene Nationalitäten haben, Palästinenser, Israelies, Iraner, Araber… Er bringt alle Musiker zusammen, aber was sie dann spielen, ist Mozart, Beethoven und Bach. Ich fand die Idee schön, diese Kulturen zu verbinden, aber ich wollte für mich persönlich einen Schritt weiter gehen und sagen: was wäre, wenn man jetzt auch die Musik entsprechend erklingen lässt? Dass nicht jemand mit seinem nicht-europäischen Instrument einfach was Europäisches spielt, sondern sowohl sein Instrument, als auch seine Herkunft, als auch seine Musikliebe mit hinein nimmt und das richtig vermischt. Der Titel „Diwan der Kontinente“ war damals die Idee unseres Agenten, da wir Musiker aus fast allen Kontinenten mit dabei haben. Diwan ist außerdem eine Ansammlung. Der Diwan von Haifs ist zum Beispiel die Sammlung seiner Gedichte. Es gibt den west-östlichen Diwan von Goethe, nach ihm hat Barenboim sein Orchester benannt. Und wir haben dann Diwan der Kontinente daraus gemacht.

Sie führen die unterschiedlichsten Musikkulturen zusammen. Wie merkt man das in Ihrer Zusammenarbeit? Gab es zum Beispiel Überraschungen, wenn sie mit Musikern aus einer ganz anderen Kultur zusammen gearbeitet haben?

Man muss erst einmal lernen, sich zu verständigen. Einmal natürlich über die Sprache. Aber auch über eine gewisse Art und Weise, wie man an Musik herantritt, wie man mit Musik umgeht. Das fällt mir sehr leicht mit Klassik und Jazzmusikern, da ich selber lange in diesen Welten gelebt habe. Ich merke, dass ich manchmal etwas Schwierigkeiten mit den Musikern aus dem orientalischen Bereich habe, weil sie anders denken und reden. Das muss ich lernen, um wirklich gut zu erklären, damit unsere musikalischen Visionen und Vorstellungen gut umgesetzt werden können. Das ist ein Lernprozess, wir müssen uns in die Instrumente reindenken, gleichzeitig haben wir nicht die Zeit, die Instrumente so zu studieren, dass wir instrumentengerecht perfekt komponieren. Deshalb binden wir auch viele Improvisationsfreiräume ein, in denen die Instrumentalisten ganz noch einmal ganz andere Klänge zaubern können und in denen sie Instrumente spezifischer und virtuoser agieren können.

Sie haben lange Improvisationsphasen. Wie geht das, wenn so viele Musiker zusammen improvisieren?

Wir geben Anleitungen. Wir haben verschiedene Stücke und geben verschiedene Anleitungen, wie man in einem großen Ensemble improvisiert. Das sind teilweise Rhythmusnotationen, Anweisungen wie: „Spiel bitte luftige Klänge, spiele Regentropfen.“ Oder Bilder. Also man gibt ihnen Tools, und jeder macht dann wieder etwas daraus: „Reagiere auf das und das, was du von dem Musiker hörst“, sodass man interagieren kann. Jeder muss ganz große Ohren haben. Es kann auch nicht jeder mitmachen bei so einem Orchester, da man flexible Musiker braucht. Das Orchester ist nur so gut wie die einzelnen Musiker. Ketan und ich führen, dirigieren und erklären zwar sehr viel, aber es ist sehr sensibel.

Im Internet habe ich gelesen, dass Ihre Vision die Entwicklung eines interkulturellen Klangs ist. Was ist das für Sie?

Da müssen sie meinen Agenten fragen. Der hat sich das Wort ausgedacht, aber ich glaube zu wissen, was er meint. Du hast die Idee, wie ein europäisches Orchester klingt. Du weißt, wie ein Streichquartett klingt, wie im Jazzbereich ein Klaviertrio klingt. Man hat ganz klare Vorstellungen, weil sich diese Klänge über die Jahre und Jahrhunderte etabliert haben. Es gibt in Konzerten gewisse Sachen, die sich bewährt haben, deshalb passieren sie immer wieder. Und dann gibt es die Leute, die das spannend finden, was nicht immer passiert. Zu denen gehöre ich. Mich macht gerade das neugierig, was ich noch nicht gemacht habe. Mich hat interessiert, ob ich es hinbekomme, dass eine chinesische Mundorgel, ein Sheng-Spieler mit einem Cellisten und einem Oboisten oder einer Bassklarinette zusammen musizieren und sie das im Bach’schen Stil tun. Dann kommen noch die Gesänge hinzu. Eine Frau singt auf Hebräisch, die andere auf Persisch, und dann gibt es noch einen Mann, der auf Arabisch singt. Kann ich das in Harmonie bringen, dass man alles wahrnimmt, dass es nicht nach Kauderwelsch klingt und ein neuer Klang entsteht? Ich kenne kein Stück, in dem Hebräisch, Arabisch und Persisch zur gleichen Zeit erklingt. Oder einen wie eine Bachfuge gesetzten Satz, in dem die Sheng mit der Oboe und einer Jazzbassklarinette zusammen agiert. Manchmal gelingen Sachen auch nicht. So und so stell ich es mir vor, dann funktioniert es nicht – und dann habe ich auch wieder etwas gelernt. Man muss viel ausprobieren, Fehler machen, neugierig sein und Musiker haben, die uns erlauben, so zu experimentieren.

Das Jazzfest Berlin 2015 findet vom 5. bis 8. November statt. Der Diwan der Kontinente tritt am 8. Oktober 2015 im Haus der Berliner Festspiele auf.