Das Projekt JungeReporter wendet sich an junge Leute ab 15 Jahren, die Lust am Schreiben haben. Sie müssen nicht unbedingt selbst ein Instrument spielen, malen oder gern auf der Bühne stehen, sondern es kommt auf die Neugier für alle Kunstformen an. Für das Berliner Festspiele Blog besuchen sie Proben und Konzerte bei MaerzMusik – Festival für Zeitfragen 2016.

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LIEBE, Probenaufnahme © Eike Walkenhorst

Ein Mann stapft am Nordkap alleine durch den tiefen Schnee. Die Landschaft ist wunderschön, doch das Laufen ist mühsam. Manchmal taumelt er und hält kurz inne, nur um dann weiter auf das tiefblaue Meer zuzulaufen. Ein Video, das im Hintergrund des Musiktheaters „LIEBE- Ökonomie des Handelns“ läuft. Parallel dazu zerhackt auf der Bühne der gleiche Mann, der wie aus dem Film gestiegen zu sein scheint, einen Eisblock; er legt die Eisstücke auf Klaviertasten oder hängt sie über dem Schlagzeug auf. Man hört die herunterfallenden Tropfen auf Becken und Drums aufschlagen. Die Töne vermischen sich mit den knirschenden Schritten aus dem Film, je weiter das Stück voranschreitet, desto vielstimmiger wird es. Doch was hat das mit Liebe zu tun?

„LIEBE“ ist nach „KREDIT“ und „RECHT“ der dritte Teil der „Ökonomien des Handelns“-Trilogie. In ihren Stücken geht es Daniel Kötter und Hannes Seidl darum, „die immateriellen Bedingungen unseres gesellschaftlichen Zusammenseins mit den Mitteln des Musiktheaters zu erforschen“. Daniel Kötter ist überzeugt, dass keine Gesellschaft ohne Liebe im Sinne einer sozialen Bindekraft funktionieren kann. „Eine Gesellschaft kann nur dann funktionieren, wenn es jenseits aller anderen Regularien, Gesetze oder Wirtschaftszusammenhänge eine Energie gibt, die besagt: Ja, wir wollen zusammenleben. Wir wollen etwas miteinander zu tun haben“, sagt er. So müsse das Verständnis von Liebe, wie es Hollywoodfilme, Werbung oder Hochglanzmagazine vermitteln, im Stück radikal erweitert werden. Denn die Arbeitshypothese des Regie-Duos war, „dass vielleicht unser konventionelles Verständnis von Liebe als einer Zweierbeziehung von einem zum anderen ja auch nur wieder etwas ist, was gesellschaftlich verfasst ist.“ Liebe ist ein bedeutungsschweres Wort, das für jeden Menschen eine ganz persönliche und eigene Bedeutung hat, und so schlägt Daniel Kötter für ihr Verständnis auch die Wörter „Empathie, Sympathie oder Goodwill“ vor. Aber für dieses Stück wollten sie „all das wegnehmen, was uns diese gesellschaftliche Wärme verschafft“. So ist der Mann ganz alleine – sowohl im Film, als auch auf der Bühne.

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LIEBE, Probenaufnahme © Eike Walkenhorst

Ein eigentlich hochaktuelles und hochpolitisches Thema, wird doch gerade täglich in Radiosendungen, in Talkshows und in Zeitungen heftig über die sogenannte Flüchtlingskrise diskutiert. Auf der einen Seite steht eine Willkommenskultur mit tausenden Ehrenamtlichen, auf der anderen die Weigerung zahlreicher EU-Staaten, Flüchtlinge aufzunehmen, offen gezeigter Fremdenhass und die europaweiten Wahlerfolge rechter Parteien. Daniel Kötter sagt, dass das Stück nicht explizit mit aktuellen politischen Prozessen zu tun habe. Trotzdem habe er während des Entstehungsprozesses über die Flüchtlingskrise nachgedacht, da er beobachten musste, dass „es in Europa gerade nicht darum geht, eine soziale Bindekraft durch menschliche Wärme zu schaffen.“

Würde unser Leben so aussehen, würde es sich so anfühlen, wenn es diese Bindekraft nicht mehr geben würde? Auch wenn die Landschaft vielleicht ein bisschen zu zauberhaft aussieht, um gleich an lebensfeindliche Bedingungen zu denken, ist diese Installation eine starke Metapher für gesellschaftliche Kälte.

KREDIT, RECHT und LIEBE, stehen für die drei Medien Zeit, Raum und Energieprozesse, mit denen Musiktheatermacher arbeiten. Kredit meint dabei eine „Form, gesellschaftlich Zeit zu gestalten, in die Zukunft zu denken, in der Hoffnung, dass sich das auszahlt“, erklärt Daniel Kötter. Recht beschäftige sich mit dem Raum, im konkreten Sinne von Territorium, „denn die Nationalgrenze scheint noch nicht ganz ausgedient zu haben.“ Und Liebe hat nach Auffassung Kötters auch immer etwas mit Energieprozessen zu tun. Er meint: „Wir hätten theoretisch auch Religion als vierten Teil machen können, aber eigentlich ist Glaube in allen drei Betrachtungen vorhanden. Man muss an einen Kredit glauben, dass es funktioniert. Ich muss daran glauben, dass mir ein Rechtssystem eine gewisse Sicherheit verschafft. Und an die Liebe muss ich sowieso glauben, sonst funktioniert gar nichts.“

„LIEBE – Ökonomien des Handelns 3“ ist am 16., 17. und 18. März im Rahmen von MaerzMusik um 20:00 Uhr in den Sophiensaelen zu sehen.