Die Geschichte der Berliner Festspiele ist viele Geschichten. Einige davon erzählen wir im Jahr des 70-jährigen Bestehens in unserer Reihe #Festspielgeschichten. In diesem Artikel berichtet Angela Rosenberg darüber, was eine kleine Briefmarke mit der Gründung der „Berliner Festwochen“ am 5. September 1951 zu tun hat.
Am 17. September 1955 erscheint anlässlich der 5. Berliner Festwochen eine Sonderbriefmarke mit dem Konterfei Wilhelm Furtwänglers. Im philatelistischen Standardwerk Michel ist die Marke mit dem Ersttagsbrief unter der Nummer 128 FDC (First Day Cover) verzeichnet.
Ein Jahr nach Furtwänglers Tod ehrt die Stadt Berlin den Stardirigenten des Berliner Philharmonischen Orchesters. Furtwängler, 1866 in Berlin-Schöneberg geboren, verstand das Orchester als emotionalen Klangkörper, der das Publikum regelrecht in Ekstase versetzen konnte. Als Staatsoperndirektor, Leiter der Philharmoniker und Vizepräsident der Reichsmusikkammer produzierte er einen öffentlichen Eklat mit dem Propagandaminister Joseph Goebbels. In einem Briefwechsel verteidigte er die Kunst als ein höheres Gut und lehnte sich mit Aufführungen von Werken Mendelssohns und Hindemiths gegen die Vorgaben des NS-Regimes auf (veröffentlicht im Berliner Tagblatt am 11. und 12. April 1933). Als Konsequenz musste er von seinen Ämtern zurücktreten und durfte lediglich als Gastdirigent des Berliner Philharmonischen Orchesters tätig sein. Dessen Leitung hatte ab 1939 Gerhart von Westerman übernommen, der spätere erste Intendant der Berliner Festwochen. Über viele Jahre standen die beiden Musiker im Zentrum des NS-Kulturbetriebs: Furtwängler am Dirigentenpult und von Westerman als Konzertmanager.
In der Nachkriegszeit war Furtwänglers Rolle im Kulturbetrieb des Dritten Reichs umstritten. Der offiziell auf der „Gottbegnadetenliste“ Hitlers geführte Dirigent erhielt nach Kriegsende von den westlichen Alliierten Berufsverbot. Zeitlebens behauptete er, unwillentlich zu einem Repräsentanten des NS-Regimes gemacht worden zu sein. Kurz nach seiner Freisprechung im Entnazifizierungsverfahren trat er im Mai 1947 mit dem Berliner Philharmonischen Orchester und dem Gastsolisten Yehudi Menuhin auf, der, als erster jüdischer Musiker nach dem Holocaust, einen Versuch der Versöhnung und Verständigung mit den Mitteln der Musik unternahm. Und während in den USA Musiker wie Vladimir Horowitz und Arthur Rubinstein 1949 mit Boykott drohten, falls der „Nazi-Kapellmeister“ Furtwängler zu einem Gastspiel eingeladen werden sollte, erhielt selbiger in Deutschland 1952 mit 86 Jahren den Posten als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker zurück – auf Lebenszeit.
Dem Vorwurf, das verhasste Deutschland der NS-Zeit zu repräsentieren, mussten sich nicht nur Furtwängler, sondern auch sein Nachfolger Herbert von Karajan und Gerhart von Westerman anlässlich einer US-Konzerttournee 1955, stellen. Galt die Musik als unpolitische Botschafterin des Friedens, wurde dieselbe wenige Jahre zuvor zu Propagandazwecken instrumentalisiert, indem sie eine ideologische Verbindung zwischen den Strapazen des Krieges und dem Siegeszug der deutschen Kultur suggerierte.
Anlässlich der Einweihung des Schiller-Theaters im Rahmen der 1. Berliner Festwochen spielte das Berliner Philharmonische Orchester unter der Leitung Wilhelm Furtwänglers am 5. September 1951 Ludwig van Beethovens Neunte Sinfonie und die „Weihe des Hauses“, mit den Solisten Elisabeth Grümmer, Margarete Klose, Peter Anders und Josef Greindl. Es war jene Sinfonie, die Furtwängler bereits vor der versammelten NS-Prominenz, anlässlich des Festkonzerts zu Hitlers Geburtstag im April 1942, dirigiert hatte.
Furtwängler, dessen Diskographie eine ausgesprochene Vorliebe für deutsche Komponisten offenbart, machte sich die identitätsstiftende Bedeutung der Musik stets zu Nutze. In einer Rede, die er 1932, ein Jahr vor der nationalsozialistischen Machtergreifung, zum 50-jährigen Jubiläum seines Orchesters hielt, verkündete er, die Musik sei „das originalste und eigentümlichste Produkt der Deutschen, mehr als jede andere Kunst berufen […] diesen das Gefühl ihrer Zusammengehörigkeit, ihrer Gemeinschaft immer wieder von neuem zum Bewußtsein zu bringen.“ Erstaunlicherweise wurde diese chauvinistische Behauptung für würdig befunden, im Kontext einer Gedenkbriefmarke im besetzten Westberlin in Produktion zu gehen. Die nach dem Entwurf von Leon Schnell (1888–1961) gestaltete 40 Pfennig-Gedenkbriefmarke erschien 1955 in einer Auflage von 1,5 Millionen.
Mehr über die Geschichte der Berliner Festspiele können Sie noch bis 17. Oktober 2021 in in der Ausstellung „Everything Is Just for a While“ im Gropius Bau erfahren.