Die Geschichte der Berliner Festspiele ist viele Geschichten. Einige davon erzählen wir im Jahr des 70-jährigen Bestehens in unserer Reihe #Festspielgeschichten. Angela Rosenberg erinnert hier an eine Ausstellung im Martin-Gropius-Bau, die im Jahr 1997 Künstler*innen aus Ost und West nebeneinander präsentierte und so versuchte, einen bis heute andauernden Prozess von Annäherung und Verdrängung sichtbar zu machen.
Kaltes Licht fällt auf „Beton“ (1997) – ein Stück Autobahn, vierspurig, 26 Meter lang und 15 Meter breit. Als Sinnbild für das gesamte Deutschland nach 1945 platzierte der Künstler Hans Haacke das Auftragswerk im zentralen Lichthof des Martin-Gropius-Bau für die Ausstellung „Deutschlandbilder – Kunst aus einen geteilten Land“ (1997/1998). Das Autobahnfragment verwies einerseits auf die ehemalige Transitstrecke, andererseits auf die historischen Veränderungen im öffentlichen Raum und die unsensible Flächensanierung, mit der die Stadt Berlin versuchte, die Zeugnisse der Geschichte, die politisch belasteten Gebäude vor der eigenen Haustür mit den zentralen Institutionen von SS und Polizei im „Dritten Reich“, wegzuräumen. Ursprünglich sollte selbst der vom Krieg stark zerstörte Martin-Gropius-Bau der Planierung zum Opfer fallen, zugunsten einer „autogerechten“ Stadt und einer Stadtautobahn entlang der Mauer. Nach intensiven Debatten und mehrjährigem Wiederaufbau wurde das ehemalige Kunstgewerbemuseum als Martin-Gropius-Bau im Jahr 1981 eröffnet. 2001 übernahmen die Berliner Festspiele den Betrieb des Hauses.
Acht Jahre nach dem Mauerfall blickte die umfangreiche Ausstellung „Deutschlandbilder“ auf 60 Jahre deutsche Kunstentwicklung seit 1933 und wagte eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem NS-Regime und den Folgen – Terror, Vernichtungskrieg, Völkermord und 40 Jahre Teilung. Der Ausstellungstitel rüttelte an dem tabuisierten Begriff der Nation, das „Vaterland“ war nicht erst durch die Blut- und Bodenideologie der Nationalsozialisten in Verruf geraten. „Deutschlandbilder“ zeigte jedoch, jenseits von nationalistischen Tendenzen, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Kunst, im Osten wie im Westen. Trotz der unvereinbaren gesellschaftlichen Systeme entwickelten Künstler*innen in beiden Ländern vergleichbare Haltungen, wie beispielsweise Werner Heldt und Wilhelm Rudolph, Konrad Klapheck und Harald Metzkes, Guenther Uecker und Gerhard Altenbourg, Georg Baselitz und Hartwig Ebersbach, Joerg Immendorff und A.R. Penck, Hanne Darboven und Carlfriedrich Claus, Sigmar Polke und Via Lewandowsky, Gustav Kluge und Peter Herrmann, Klaus vom Bruch und Lutz Dammbeck.
Den Beginn der Ausstellung markierte das Jahr 1933 und die Zeit der Verfolgung, Emigration und Vernichtung vieler Künstler*innen durch das NS-Regime, mit Werken von Max Beckmann, Paul Klee, Oskar Schlemmer, Max Ernst, Felix Nussbaum und Otto Freundlich. In zwanzig Kapiteln entfaltete sich die Ausstellung zu komplexen Themen wie dem Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten, der Nachkriegsmisere, der Abstraktion als ideologische Waffe im Kalten Krieg, dem Eichmann-Prozess in Israel 1961, der westdeutschen Vergangenheitsbewältigung, dem „verordneten Antifaschismus“ in der DDR, dem als „antifaschistischen Schutzwall“ deklarierten Mauerbau von 1961 und den Drangsalierungen durch die Stasi.
Veranschaulicht wurden die künstlerischen Reaktionen auf soziale und politische Gegebenheiten in Ost und West. Manche Künstler*innen begegneten diesen mit der Überschreitung von Grenzen und Tabus, wie Joerg Immendorff mit seiner provokanten Bilderserie „Café Deutschland“, A.R. Penck in seinem „Übergang“ (1963) auf brennendem Seil balancierend oder Sigmar Polke mit seiner Idee für ein „Großes Schimpftuch“ (1968), einer Ansammlung wüster Beschimpfungen. Von einem lakonischen Umgang mit deutschen Geistesgrößen zeugte Anselm Kiefers düsterer, leergeräumter Dachboden, „Deutschlands Geisteshelden“ (1973), oder Georg Herolds Geniekritik „Goethe-Latte (im Vergleich dazu irgendein Scheißer)“ (1982). Martin Kippenbergers „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken“ (1984) ruft das Motto „Allemallachen“ in Erinnerung, mit dem die westdeutsche Kunst in den achtziger Jahren gegen die Pädagogisierung und mediale Aufbereitung des NS-Grauens vorging. Ein bemerkenswertes Beispiel für zeitkritische Historienmalerei ist Gerhard Richters sperriger Zyklus „18. Oktober 1977“ (1988), entstanden als Reflexion auf die Selbstmorde der RAF-Anführer*innen in der Justizvollzugsanstalt Stammheim. Zeitgleich entstanden Werke staatstragender Künstler*innen wie Bernhard Heisig oder Werner Tübke in der DDR, die dem sozialistischen bzw. magischen Realismus nahestanden.
„Deutschlandbilder“ zeigte außerdem die rekonstruierte und erweiterte Gruppenausstellung „Hommage à Lidice“ (1967), ein bis heute nicht zustande gekommenes Museum als Symbolort der deutschen Schuld in der Nähe von Prag. Der Galerist und Kurator René Block initiierte die Beteiligung von 21 Künstlern, darunter Joseph Beuys, Dieter Roth, Wolf Vostell, Günther Uecker, Gotthard Graubner, Jörg Immendorff, Gerhard Richter, Sigmar Polke, Blinky Palermo und Imi Knoebel. Anlässlich der Ausstellung im Martin-Gropius-Bau kamen weitere 31 Künstler*innen hinzu, u.a. Maria Eichhorn, Katharina Fritsch, Asta Gröting, Astrid Klein, Karin Sander, Katharina Sieverding und Rosemarie Trockel.
Erstmals ausgestellt war das bis dahin zensierte „Manet-PROJEKT ’74“ von Hans Haacke, in dem der Künstler die Provenienzen von Edouard Manets „Spargelbündel“ aus berühmten jüdischen Sammlungen bis zum Erwerb des Gemäldes durch das Wallraf-Richartz-Museum in Köln auf Initiative des damaligen Vorsitzenden des Aufsichtsrates der Deutschen Bank AG Hermann J. Abs offenlegte. Die künstlerische Beschäftigung mit der Herkunftsgeschichte eines Gemäldes im langjährigen Besitz eines Museums war nicht erwünscht.
„Deutschlandbilder“ war eine mutige Ausstellung über ein gespaltenes Land mit lang anhaltenden Traumata und der Versuch, dies mit den Mitteln der Kunst zu reflektieren. Es war eine Ausstellung über das Vergessen und das Erinnern, über Vergangenheit und Gegenwart, und einige Kapitel unserer eigenen Archäologie, die nichts an Aktualität eingebüßt haben.
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