Tyshawn Sorey ist der erste Artist-in-Residence des Jazzfest Berlin. Er wird daher in unterschiedlichen Formationen mehrfach beim Jazzfest Berlin in Erscheinung treten. Matthias Kirsch begleitet ihn dabei.
„Conduction is the transfer of energy by the movement of particles that are in contact with each other.“
„Conduction“ war also das Thema am letzten Jazzfest-Abend und beim letzten Konzert von Tyshawn Sorey, dem ersten Artist-in-Residence in der Geschichte des Festivals. „Conduction“ ist eigentlich ein Begriff aus der Physik, im musikalischen Zusammenhang beschreibt er eine strukturierte, freie Improvisation, bei der ein Ensemble mit Hilfe von Gesten und Handbewegungen dirigiert wird. Das Ensemble am Sonntagabend bestand ausschließlich aus Berliner Musiker*innen, denen Sorey mit Taktstock, Händen, Fingern und Schildern Anweisungen gab.
Ein wenig erinnerte mich das Konzert an das Opening des Jazzfest Berlin im Jahr 2015, als der Posaunist George Lewis mit dem Splitter Orchester sein „Creative Construction Set“ vortrug. Auch die Methode der „Conduction“ kann man, wenn überhaupt, erst nach dem vollständigen Ablauf des Werks erfassen. So bleiben einem zunächst die Streichersegmente im Ohr, die während des etwa einstündigen Sets einige wenige Male wiederholt werden und auf denen scheinbar zumindest einige Passagen aufbauen. Zwischenzeitlich fließen indische und asiatische Sequenzen in den musikalischen Ablauf ein, wenn verschiedene typische traditionelle Instrumente wie die Tabla oder die Ghatam (ein bauchiger Tonkrug), die chinesische Guzheng, eine Art Zither, sowie das persische Streichinstrument Kamancheh, einen deutlich spürbaren exotischen Touch hinterlassen.
Tyshawn Sorey’s Aufgabe bestand darin, den einzelnen Musiker*innen (insgesamt immerhin 20) oder einzelnen Gruppen innerhalb des Ensembles (wie zum Beispiel den Streicher*innen) Anweisungen zu geben, wann und in welcher Kombination sie zum Zuge kommen. Es entsteht streckenweise der Eindruck, als ob einige wenige Elemente vorher abgesprochen oder zumindest als Skizze oder Idee in den Raum geworfen worden waren, die künstlerische Freiheit eines jeden Musikers aber das Credo bleibt. Auffallend auch der Gesang von Alex Nowitz, dessen ungewöhnlicher Stil eher an ein weiteres exotisches Instrument als an die menschliche Stimme erinnert. Das Stück funktioniert nur als Ganzes und lässt sich nicht in einzige, individuelle Strukturen auseinander dividieren.
Vielleicht ist Tyshawn Sorey’s einziges verbindendes Merkmal, das er in all seinen verschiedenen Facetten beim Jazzfest Berlin einbringen konnte, die Tatsache, dass er es immer wieder schafft, das Publikum in eine Art Trance zu versetzen.
Als erster Artist-in Residence des Jazzfest Berlin war Tyshawn Sorey gleich mehrfach präsent. Das erste Konzert mit Tyshawn Sorey und seinem Trio fand am Donnerstag, 2. November 2017 um 20:00 Uhr statt. Anlässlich der Albert-Mangelsdorff-Preisverleihung am Freitag, 3. November spielte Tyshawn Sorey erneut zusammen mit Chris Tordini und der Preisträgerin Angelika Nescier um 17:30 Uhr. Am selben Tag, um 23:00 Uhr war er dann im Duo mit dem Saxofonisten Gebhard Ullmann auf der Seitenbühne des Festspielhauses zu hören. Mit einer großen Ensemble-Formation gestaltete er das Abschlusskonzert des Festivals am Sonntag, 5. November um 19:00 Uhr mit. Alle Konzerte fanden im Haus der Berliner Festspiele statt.