Was passiert, wenn sich „Tatort“ und Theater verbinden? Dieser Frage hat sich der 56. Pariser Platz der Kulturen mit der Veranstaltung „,Tatort & Theaterʼ – Ein Abend mit ChrisTine Urspruch und Wolfram Koch“ angenommen. Am 24. September 2018 trafen im Allianz Forum am Pariser Platz nicht nur die „Tatorte“ Frankfurt und Münster aufeinander, sondern auch zwei Schauspieler*innen, die immer wieder auf Theaterbühnen zu erleben sind und bereits zusammen beim Theatertreffen 2012 waren – mit Herbert Fritschs Volksbühnen-Inszenierung „Die (s)panische Fliege“. Es entwickelte sich, nach einer Einführung durch die Leiterin des Allianz Stiftungsforums Regine Lorenz und moderiert von Matthias Dell, ein Gespräch voller Einsichten in einen abwechslungsreichen Berufsalltag, Erinnerungen an die Proben mit Fritsch und Ideen für die Zukunft des „Tatort“.
Wie viel doch ein kleines hübsches Sonderzeichen ausmacht. „Tatort & Theater“ hieß die Veranstaltung, die am 24. September 2018 in Kooperation mit dem Theatertreffen im Allianz Stiftungsforum über die Bühne ging. Oder die Bühne in das Forum holte, denn sowohl ChrisTine Urspruch als auch Wolfram Koch sind gestandene Theaterleute, die sogar gemeinsam auf der Bühne standen, in Herbert Fritschs Inszenierung „Die (s)panische Fliege“, die von 2011 bis 2017 an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz das Publikum in hilfloses, hysterisches Gelächter ausbrechen ließ. Eine solche Reaktion kommt ja in „Tatort“-Folgen eher selten vor, und vielleicht gibt das bereits eine Idee, warum dieses „&“ den „Tatort“ und das Theater sowohl trennt als auch verbindet.
„Das Ritual des ‚Tatorts‘: Nach einem schönen Wochenende und bevor die Arbeit wieder losgeht, gewinnt das Gute gegen das Böse, und dann kann man ins Bett gehen.“ Wolfram Koch
Kommen wir zuerst zum Verbindenden: Sowohl ChrisTine Urspruch als auch Wolfram Koch betonten im Gespräch mit Matthias Dell das Familiäre in ihren „Tatort“-Teams, das beide auch an Gegebenheiten am Theater denken lässt. ChrisTine Urspruch, die bereits seit 2002 den Münsteraner „Tatort“ als Pathologin Silke Haller, genannt Alberich, bereichert, hebt den starken Ensemblegeist hervor, der im Team trotz wechselnder Autor*innen und drei verschiedener Produktionsfirmen herrscht. „Man hat eine gute Zeit mit den Kolleg*innen. […] Es gibt viel Angenehmes an Gewohntem, man kennt sich gut beim Spielen, man trinkt ab und zu ein Glas Wein zusammen, wie am Theater.“ „Das macht ihr?“, wirft Wolfram Koch gespielt grollend ein. Als Hauptkommissar Paul Brix im Frankfurter „Tatort“ ist er seit 2015 mit unterschiedlichsten Fällen und Regiehandschriften konfrontiert, was auch dazu führt, dass Studios manchmal ganz woanders aufgebaut werden müssen als gewohnt. Was jedoch gleich bleibt, ist das Techniker*innen-Team, das der produzierende Sender Hessischer Rundfunk (hr) für alle Frankfurt-„Tatort“-Filme einsetzt – ein Luxus und Wohlfühlfaktor für Wolfram Koch: „Das ist ein bisschen Familie. Man kennt die ganzen Techniker, die Beleuchter … Die sind, und das merkt man in der Arbeit, voll mit dem Herzen dabei, weil sie für ihren Sender, für ihr Haus den besten Film machen wollen. […] Das erinnert mich unheimlich an Theater.“
Ebenfalls ein verbindendes Element: Lampenfieber und Aufgeregtheit. Da hilft auch das vertrauteste „Tatort“-Team nichts. „Man ist immer noch aufgeregt, wie ich das bei der ‚(S)panischen Fliege‘ auch immer war“, sagt ChrisTine Urspruch, und auch Wolfram Koch meint, dass die Nervosität vor jedem Dreh und jeder Vorstellung dazugehört: „Lorca hat gesagt, da kommen die Dämonen über einen vor der Theateraufführung, vielleicht ist da was dran.“
„Das [Auf-der-Straße-angesprochen-Werden] ist total schön, auch für mich. Ich freue mich allerdings auch immer, wenn Leute sagen: die Alberich. Wo ich allergisch reagiere ist, wenn man sagt: Ach, da ist ja der Alberich. Dann bin ich es nicht mehr, dann ist es nicht mehr meine Figur.“ ChrisTine Urspruch
Dämonen kommen am „Tatort“ offenbar öfter über einen, allerdings in unterschiedlicher Form. Wolfram Koch beschreibt plastisch die Entstehung der „Tatort“-Folge „Fürchte dich“ (2017), die aus dem Gedanken geboren wurde, dass Geisterfilme die Vorläufer von Kriminalfilmen seien. „Wir haben richtig mit einem Geist gearbeitet […], und sobald man einen Geist um 20:15 Uhr zeigt, drehen alle durch“, sagt Koch, woraufhin Urspruch sich leicht schüttelt. Ja, sie habe sich auch gegruselt bei dieser Folge, meint sie. Bereits früher im Gespräch hatte Urspruch verraten, dass ihr als Fünfjährige der „Tatort“-Vorspann solche Angst eingejagt hat, dass sie danach nicht schlafen konnte: „Ich sehe immer noch diese Beine, die da weglaufen … […] Dieser Vorspann ist einfach wahnsinnig gut gemacht, weil er vielleicht so altmodisch und dadurch zeitlos geworden ist.“ Gruselig war „Fürchte dich“ also, aber altmodisch auf keinen Fall, die Folge war ein Experiment – und als solches nicht unbedingt von allen gerne gesehen in der straff durchgeplanten Fernsehwelt. Es brauchte also Partner*innen, die Koch in den hr-Redakteur*innen Liane Jessen und Jörg Himstedt gefunden hat: „Die sind mutig […] und im besten Sinne naiv und neugierig.“ Und kommt, emotionaler werdend, auf eine weitere Gemeinsamkeit zwischen „Tatort“ und Theater zu sprechen: „Jeder Film muss ein Experiment bleiben, so wie jedes Theaterstück, jede Arbeit ein Experiment bleibt. […] Sobald man sagt, ich weiß, wie’s geht, kann man doch nach Hause gehen. Dann hat man auf der Suche nach Kunst nichts zu suchen.“ Urspruch nickt bestätigend. Auch die Münsteraner „Tatort“-Folgen empfindet sie „zum Glück“ nach wie vor auch als Experiment und lernt sich in ihrer Rolle als Alberich auch nach 16 Jahren „immer wieder neu selber kennen“.
Doch was trennt nun „Tatort“ und Theater, wenn es doch so viel Gemeinsames gibt? Im Verlauf des Abends kristallisieren sich zwei Dinge heraus. Das erste ist eine Sache der Gegebenheiten und Notwendigkeiten im Filmbereich: Körperlichkeit/körperbasiertes Spiel. „Die ist nicht so unbedingt gefragt“, meint Wolfram Koch, und ChrisTine Urspruch ergänzt: „Es ist so viel Technisches zu beachten. […] Letztendlich ist die Kamera der Erzähler.“ Denn jede Einstellung ist exakt eingerichtet und geplant, sich einfach mal aus dem Licht drehen geht nicht. „Theater ist erstmal Körper im Raum“, sagt Koch und ahmt mit perfektem Akzent den verstorbenen bulgarischen Regisseur Dimiter Gotscheff nach, der in seinen Arbeiten den Körper als zentrales Element der Inszenierung und Textproduktion begriffen hatte. „Jeder Theaterregisseur, oder zumindest viele arbeiten extrem körperlich“, führt Koch weiter aus und gibt, ausgehend von seiner Faszination für Buster Keaton, einen kurzen Abriss zur Filmgeschichte – von der starken Körperlichkeit der frühen Slapstick-Filme hin zur späteren Konzentration der Sehgewohnheiten auf die Psychologie von Figuren, auf Gefühle und Gesicht, die auch heute noch zentral wirke und die Art, wie Filme und Serien gedreht werden, stark beeinflusse. Mit körperbasierter Komik zu arbeiten erfordere außerdem auch Zeit, die im knappen Drehplan oft nicht vorhanden ist. Wobei Komödienproben am Theater „das Härteste, was es gibt“ sind, wie Koch sagt.
„Deswegen liebe ich Theaterspielen, da muss ich mich nicht selber sehen.“ Wolfram Koch
Als sich das Gespräch der gemeinsamen Zeit von ChrisTine Urspruch und Wolfram Koch an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz und den Proben mit Herbert Fritsch für „Die (s)panischen Fliege“ zuwendet, vermittelt sich in der Art, wie Urspruch und Koch nun erzählen, situativ der zweite Unterschied zwischen „Tatort“ und Theater an diesem Abend. Als Wolfram Koch von Matthias Dell zum Verhältnis zwischen Film- und Theaterschauspielarbeit befragt wird, antwortet er: „Es ist der gleiche Beruf. Aber am Theater kommst du mehr in Wallung.“ Und in Wallung kommen sowohl Urspruch als auch Koch, als sie von den Proben für die „(S)panischen Fliege“ erzählen, in denen sie „geschaut [haben], was für ein böser Blödsinn möglich ist in dieser Komödie“ (Koch), die „aus einer großen anarchischen Freude“ (wieder Koch) entstand. Immer größer werden die Gesten der beiden Schauspieler*innen, lauter die Stimmen, breiter das Grinsen. Urspruch erinnert Koch daran, dass er sich nach der Generalprobe mit einer gesamten Tube Voltaren eingerieben hat. Woraufhin Sophie Rois Koch vorschlug, sich „Mr. Voltaren“ zu nennen. Und Koch schildert schmunzelnd, dass er nach der Generalprobe aufgrund seines schmerzenden Körpers auch noch einen finanziellen Verlust zu beklagen hatte: „Mir ist auf dem Nachhauseweg Geld aus der Tasche gefallen und ich so zu mir: Lass liegen.“
Wie ist es also mit „Tatort & Theater“? Vielleicht liegt in der Verschränkung dieser beiden Berufs- und Lebenswelten durch ein kleines hübsches Sonderzeichen ein Zukunftsversprechen. „Es ist ein offener Austausch“, meint Wolfram Koch hinsichtlich der Besetzung von Theaterschauspieler*innen in Filmen und Fernsehserien und den Arbeiten von Filmregisseur*innen am Theater. „Früher was es verpönt für Theaterschauspieler*innen, eine Serienrolle anzunehmen“, sagt auch ChrisTine Urspruch, was heute glücklicherweise nicht mehr der Fall sei. Doch immer noch sind Theaterregisseur*innen selten beim „Tatort“ aktiv. Koch bricht eine Lanze für die Öffnung des Genres und lässt das Innovationspotenzial, das in einer solchen Weitung liegen würde, erahnen. „Man könnte mal langsam die Linse wieder aufmachen, auch in der Erzählstruktur, das würde mich interessieren“, sagt er beispielsweise und verweist auf die „Tatort“-Folge „Wer bin ich“ (2015) mit Ulrich Tukur, die mit ihrem „Film-im-Film“-Konzept ein Versuch einer solchen Öffnung gewesen sei. Und nicht zu vergessen: Herbert Fritsch, der laut Koch im Film arbeiten und „eine ganz stille Etüde“ machen wolle. „Ich werde Fritsch für den ‚Tatort‘ vorschlagen“, sagt Koch mit funkelnden Augen. Soll man ihm glauben? Schön wäre das ja – die Möglichkeit, dass mit Herbert Fritsch als „Tatort“-Regisseur hilfloses, hysterisches Gelächter auch dort Einzug hält!
ChrisTine Urspruch wurde 1970 in Remscheid geboren. Ihre Theaterlaufbahn begann 1993 am Schauspiel Bonn, weitere Stationen waren u. a. das Residenztheater in München, das Theater Basel und das Volkstheater Wien. An der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin war sie in Herbert Fritschs Inszenierung „Die (s)panische Fliege“ zu sehen, die 2012 zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde. Ihr Debüt als Kinoschauspielerin gab sie 2001 mit der Titelrolle in „Das Sams“. 2002 übernahm sie die Rolle der Pathologin Silke Haller, genannt „Alberich“, im Münsteraner Tatort und gehört seither fest zum Ensemble um Jan Josef Liefers und Axel Prahl. Seit 2014 spielt sie die Titelrolle in der ZDF-Serie „Dr. Klein“.
Wolfram Koch wurde 1962 in Paris geboren und an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main ausgebildet. Nach Engagements an der Freien Volksbühne, am Schiller Theater in Berlin und am Schauspiel Frankfurt war er festes Ensemblemitglied am Schauspielhaus Bochum und arbeitet seit 2000 frei u. a. in Zürich, Wien, Hamburg, Berlin und Luxemburg. 2011 wurde er zusammen mit Dimiter Gotscheff, Samuel Finzi und Almut Zilcher mit dem Berliner Theaterpreis und 2014 gemeinsam mit Samuel Finzi für ihre Rollen in „Warten auf Godot“ (eingeladen zum Theatertreffen 2015) mit dem Gertrud-Eysoldt-Ring ausgezeichnet. 2015 übernahm er die Rolle des Frankfurter Tatort-Kommissars Paul Brix an der Seite von Margarita Broich.
Matthias Dell wurde 1976 geboren. Er arbeitet als Medienjournalist, Film-, Fernseh- und Theaterkritiker. Seit 2010 schreibt er wöchentlich über „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ auf ZEIT ONLINE in der Kolumne „Der Obduktionsbericht“. Sein Buch „Herrlich inkorrekt – Die Thiel-Boerne-Tatorte“ erschien 2012.