Das Projekt JungeReporter wendet sich an junge Leute ab 15 Jahren, die Lust am Schreiben haben. Sie müssen nicht unbedingt selbst ein Instrument spielen, malen oder gern auf der Bühne stehen, sondern es kommt auf die Neugier für alle Kunstformen an.
Ein großer Raum, vereinzelt hockt hier und dort ein Gesicht, sich neugierig und verhohlen umschauend, ob sich nicht noch mehr seiner Art in diesem Raum versammeln wollten.
Die Bühne des Saals ist wie ein Tal, umringt von vielen Sesseln. Verloren stehen vier kleine Stühle in einem kuscheligen Halbkreis in der Mitte.
Ich – selbst eins der Gesichter – betrachte die Deckeninstallationen: Ein kunstvolles Gewirr aus Lampen, Schirmen, Kabeln, Lautsprechern. Mit einem Mal steigt der Geräuschpegel kräftig.
Der Kammermusiksaal im abstrakten Sinn: ein Ameisenhaufen am Ende eines Ameisenarbeitstages. Jeder sucht seinen persönlichen Platz, und auf ein allgemein bekanntes Signal werden alle ruhig:
Die Lichter werden gedimmt, nur der Stuhlkreis bleibt erleuchtet.
Eine Tür geht auf, und wie auf ein weiteres Signal hin fangen alle Ameisen an zu klatschen.
Erst jetzt komme ich mental an diesem Ort an . Und da Ameisen weder klatschen noch Streichinstrumente spielen können, wird ab jetzt von Menschen die Rede sein. Versprochen.
Sie setzen sich. Und beginnen. Einfach so. Ohne Stimmen, ohne Worte.
Das ist die Begrüßung: Per Nørgård.
Und schon jetzt wird mir klar, auf was die vier Musiker des Danish String Quartets anspielen, wenn sie sagen, sie seien „moderne Wikinger“.
Ihre Instrumente führen sie als mechanisches Werkzeug, es besteht keine Barriere zwischen ihnen und dem Klangkörper.
Ihr Instrument ist ein obligatorisches Nutzensding, um ihre persönliche Interpretation, ihr Gefühl zu vermitteln.
Ich höre die Bögen klackern und die Fingerwechsel, Lagenwechsel rutschen.
Nur für die Statistik: Sie sind alle blond, und drei der vier haben einen Vollbart. Augenfarbe nicht bekannt.
Zu schnell, um mich rundum einzuhören, ist die Komposition von Nørgård vorbei.
Das Quartett verlässt den Saal. Ich bin irritiert.
Doch sie kommen wieder – mit getauschten Plätzen.
Große Fragezeichen in allen Gesichtern? Trug der erste Geiger nicht eben noch Vollbart. Ganz einfach: Der erste Geiger ist jetzt Zweiter und der Zweite Erster.
Drei langsame Sätze aus dem Streichquartett von Schostakowitsch Nr. 15 in Es-Moll spielen sie in dieser Formation.
Der Klang hat sich vollkommen verändert.
Die einzelnen Tonreihen legen sich wie Samt in die Luft. Wenn ich die Augen schließe, kann ich nicht ausmachen, wer neu einsetzt. Töne werden weitergegeben und der Saal scheint wie in Trance. Umfangen von den sphärischen Luftgebilden der vier Männer.
Der Epilog holt mich wieder zurück in die reale Welt. Wie ein Weckruf reihen sich Tonfolgen aneinander, jedes Instrument spielt eine Note, begonnen ganz leise und ab der Hälfte des Bogens mit Kraft. Fast schon reißend wird der Ton abgezogen. Sehr laut und kratzig.
Daraus ersteht beim Nächsten der folgende Klang – wie ein Echo.
Ein Echo, das sich selbst reproduziert. Als der erste Konzertteil endet, merke ich plötzlich, wie müde ich bin.
Zurück im Saal, gespannt auf Beethovens Streichquartett Nr. 12 in Es-Dur, bekomme ich etwas ganz anderes geboten als ich von Beethovens Quartetten kenne: Handfester Umgang mit diesen oft einfach nur „gefiedelten“ Sätzen.
Wenn ich das so sagen darf, es haut mich vom Wohlfühlhocker. Die Ameise wurde aus ihrem normalen Prozess gerissen.
Das dort ist kein „klassischer Beethoven“. Es ist eher ein „Beethoven-String Danish Style“ (um es mal in der Sprache der tausend verschiedenen hippen Kaffeesorten mit wahnsinnig komplizierten Namen auszudrücken).
Für meinen Geschmack fehlt etwas weicher Milchschaum. Etwas Wohlfühlsessel, etwas normales „Gefiedel“. Einfach um die Musik, die Komposition an sich zu Wort kommen zu lassen. Allerdings finde ich es auch sehr interessant, einmal eine so andere Interpretation Beethovens zu hören.
Im zweiten Konzert des Abends spielt das Quartett Danish Folk Tunes.
Und hier verstehe ich, wo ihre Art zu spielen herkommt, woher sie ihren Spaß und ihre Inspiration nehmen: von der Musik aus ihren eigenen Kindertagen. Stücke des populären dänischen Komponisten Carl Nielsen und nordische Volkslieder.
Die präsentierten Fassungen wurden natürlich eigenhändig in Quartettsätze übertragen.
Die Freude ist aus allen vier Gesichtern zu lesen.
Und ich werde entführt in meine eigenen Kindertage: Astrid Lindgren.
Ich weiß nicht warum, aber die Lieder und Sätze lassen die riesigen Wälder, die weiten Wiesen und einsamen Seen aus „Ronja Räubertochter“ und den „Kindern von Bullerbü“ in meinem Kopf erscheinen.
Der tosende Applaus reißt mich immer wieder aus dieser Welt.
Milchschaum und Tonreihen, Ameisen und Gesichter hin oder her, das Schönste und auch wirklich Wichtige ist: Diese vier Wikingermusiker haben ein Lächeln auf das eine, ein Grinsen auf das andere Gesicht gebracht.
Und Ameise Luzia lächelt in sich hinein. Am Ende eines langen Ameisenarbeitstag.
Das Danish String Quartet trat am 5. September 2016 mit einem zweiteiligen Programm im Rahmen des Musikfest Berlin auf.