Das Projekt JungeReporter wendet sich an junge Leute ab 15 Jahren, die Lust am Schreiben haben. Sie müssen nicht unbedingt selbst ein Instrument spielen, malen oder gern auf der Bühne stehen, sondern es kommt auf die Neugier für alle Kunstformen an. Für das Berliner Festspiele Blog besuchen sie Proben und Konzerte des Jazzfest Berlin 2015.
Freitag, 20. November 2015, vor dem Eingang zur Seitenbühne der Berliner Festspiele. Menschen. Sie sind gekommen, um sich die Zukunft anzuhören, und sie wollen sich keine Märchen auftischen lassen. Sie sind jung, manche sehr jung. Sie sind erwachsen, einige schon sehr erwachsen. Sie sind anders. Sie verbringen ihren Freitagabend nicht in der Bar, jedenfalls noch nicht, und auch nicht bei sich auf der Couch, nicht mehr. Kurz: Alle, wie sie sich vor den Türen drängen, wollen zur Lesung des diesjährigen Treffens junger Autoren, einem der vier bundesweiten Jugend-Wettbewerbe der Berliner Festspiele.
„Und, schon aufgeregt?“, frage ich einen der Preisträger, erkennbar am Festivalausweis, der ihn in die Gruppe der 20 glücklichen Gewinner*innen und Leser*innen des heutigen Abends kategorisiert. Seine prompte Antwort lautet: „Überhaupt nicht!“, während er sich nervös umschaut und mehrmals blinzelt. Im Saal spielen sich ähnliche Szenarien ab: „Ich werde nicht lesen, bevor ich nicht umarmt wurde“, behauptet eine Preisträgerin. – „Ich fühle mich wie eine aufgeregte Mutter vor dem ersten Ballettauftritt ihrer kleinen Tochter“, meint die Mutter, als sie ihre Arme von ihrem schon so groß gewordenen Kind löst.
Bevor es richtig losgeht mit der Lesung, sind einige Grußworte zu hören und natürlich die beliebte Anmoderation von Laura Naumann und Khesrau Behroz, vom ihrerseits selbstbetitelten „Moderationsdiscounter“. Als „aufregend, aber eher Nebensache“, bezeichnet Christina Tilmann von den Berliner Festspielen die Lesung der jungen Autor*innen. Denn der Hauptfokus des mehrtägigen Treffens liege auf dem Austausch von Gedanken, Texten, Erfahrungen, auf der Begegnung von Schreibenden auf dem Festivalcampus. Nebensächlich ist die Lesung jedoch keineswegs, auch wenn sie erst den Auftakt des Treffens junger Autoren darstellt.
Wort an Wort, Satz an Satz und Text an Text füllt sich der Abend, während die Köpfe sich mit Gedanken füllen und vor lauter Fülle die Gefühle überzufließen scheinen. Die preisgekrönten Geschichten und Gedichte könnten unterschiedlicher nicht sein. Es ist die Rede von inneren und äußeren Konflikten, von Persönlichem und Politischem, von menschlichen Abgründen und Tiefgründigkeiten. Scheinbare Banalitäten kommen zu neuer Bedeutung, wie Momentaufnahmen des Glücks, die wir im Alltag viel zu schnell überblenden und vergessen. Aber auch Geschichten, die wir vielleicht lieber nicht hören wollen, über die Haltung gegenüber Geflüchteten, über Enttäuschung in der Familie, über Mütter, die ihre Kinder nicht lieben können, über Geschwister-Leichen unter dem Bett. Galaktische Utopien treffen uns mitten in der Realität, setzen Gedanken über staatliche Überwachung und gesellschaftliche Hierarchien frei und die Frage nach dem Danach. Was kommt, wenn alles weiterläuft wie bisher?
Alle haben sie etwas zu sagen. Und es kommt an. Bei der vor Stolz überwältigten Mutter, bei den Freunden und Kritikern, bei mir. Ich hätte den Abend auch im Club verbringen können, aber ich bin froh, es nicht getan zu haben. Zu sehen und zu hören, wie präzise die Ansichten der jungen Autor*innen in ihren Texten zum Ausdruck kommen und welche Gespräche dadurch angeregt werden können, lassen mich weiter an eine sich selbst reflektierende Gesellschaft glauben.
Selbst wenn das Treffen junger Autoren 2015 bereits seinen 30. Geburtstag feiert – es hat sich frisch gehalten. Bleibt nur noch herauszufinden, ob die Preisträger*innen des TjA wirklich auch in Zukunft bessere Texte liefern als die des Open Mike, wie Laura und Khesrau behaupten.
Das 31. Treffen junger Autoren findet vom 17. bis 21. November 2016 statt.