Das Projekt JungeReporter wendet sich an junge Leute ab 15 Jahren, die Lust am Schreiben haben. Sie müssen nicht unbedingt selbst ein Instrument spielen, malen oder gern auf der Bühne stehen, sondern es kommt auf die Neugier für alle Kunstformen an.
Ein Stück neue Welt, komponiert von John Adams, dirigiert von John Adams, großes Orchester für maximale Farbenformbarkeit. Maximale Varianz. Die Berliner Philharmoniker.
Im Voraus hatte ich mich vor allem auf die zweite Hälfte gefreut: Die Scheherazade.2, weil ich selbst Geige spiele und neugierig auf Leila Jozefowicz war.
Das vorpausare Programm mit „Harmonielehre“ hatte sich eher experimentell und potenziell etwas anstrengend gelesen. Ein Stück, das man entweder bald wieder vergisst, oder gerade wegen seiner fehlenden Glätte behält. Mit Betonung auf „fehlend“. Aber dann beginnt der erste Satz ungefähr so: Bum, Bum, Bum, BumBumBum, BumBumBumBumBumBum. Alle Stimmgruppen bilden zusammen einen Rhythmuskörper, der in mir sofort die Assoziation einer beschleunigenden Lok mit Stangenantrieb hervorruft. Im Offbeat setzen sich Querflöten wie als Tuten darüber. Ich war in Dvořáks „Neuer Welt“ gelandet, aber so, wie John Adams sie sieht.
Ein von den Streichern dominierter Zwischenteil verspricht fruchtbares Land, für das sich die aufreibende Reise gelohnt hat. Ein Objekt der Sehnsucht. Doch angekommen, gibt es erst einmal noch andere Dinge zu tun. Stress kommt auf. In den Streichern laufen die Sechzehntel gegeneinander, hektisch agieren die Bläser und das Schlagwerk darüber, jeder in seinem um Winzigkeiten verschobenen Rhythmus. Und John Adams dirigiert. Und ich meine Dirigieren im klarsten Sinne: Er schlägt mit. Unübersehbar und wie ein Uhrwerk.
Strittig bleibt: warum. Dass die Berliner Philharmoniker in der Lage sind, selbst zu zählen, stelle ich hier einmal außer Frage, aber ob es für ihn selbst wichtig war, dieses aus so vielen einzelnen Phrasen bestehende Stück so klar zu dirigieren, oder ob er zur Orientierung für das Publikum so deutlich geschlagen hat wird niemand genau sagen können. Mir hat es jedenfalls geholfen, die Übersicht zu behalten. Denn obwohl dieses Werk über eine Bildlichkeit verfügt wie sonst Strauss’ „Alpensinfonie“ oder Dvořáks „Symphonie No.9 aus der neuen Welt“ ist es gespickt von fast unmöglich zu erfassenden Stimmgruppenwechseln der einzelnen Fragmente und vielen gegeneinander gesetzten Rhythmen.
Adams’ Werk spielt mit den einzelnen Stimmgruppen und Instrumenten. Er webt einen Klangteppich, der wieder harmonisch wirkt. Der Titel passt gut, „Harmonielehre“.
Im zweiten Satz meine ich regelmäßig Schreie – getarnt als Holzbläser – herauszuhören. Dieser Satz ist allgemein roher, gewaltsamer. Das Meer ist aufgeschäumt und nimmt sich alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Über die vorher grünen Wiesen pfeift Wind.
Bald darauf aber beruhigt sich alles und die Musik beginnt zu schwelgen. Dieser Teil gefiel mir am wenigsten. Ich weiß bis jetzt nicht genau, was mir dieser langsame, leicht orientierungslose Abschnitt im Zusammenhang des Werkes vermitteln soll.
Dafür bietet der dritte Satz wieder mehr der typischen Stimmenverschiebungen. Wenn auch pathetischer als der erste, leitet dieser Satz den Zuhörer weiter in verschiedene imaginäre Welten, die mich von Wintersonnenaufgang bis zum Reiterwettkampf in der Prärie führten.
Dieses Orchester ist schön anzuschauen. Und dieses Stück auch. Es ist egal, ob man die Augen schließt und seine Assoziationen durchläuft, oder dem Klangkörper auf der Bühne zuschaut – es ist beides ein Erlebnis. Sowohl für das innere und äußerliche Auge, als auch für die Ohren.
Die Berliner Philharmoniker unter Leitung von John Adams traten im Rahmen des Musikfest Berlin 2016 auf.